Frau Deligöz, Frau Göltzer, Sie sind beide etwas Besonderes: Sie sind zwei Frauen in Spitzenpositionen. Männern wird oft nachgesagt, sie seien zielstrebig und hätten schon immer eine Karriere im Blick gehabt. Wie war das bei Ihnen?
Ekin Deligöz: Mein Lebensweg war so nicht von Beginn an geplant. Ich bin 1989 als Jugendliche in die Grüne Jugend eingetreten. Ich engagiere mich seitdem in der Politik, weil ich Missstände in unserer Gesellschaft sah, die ich ändern wollte. In meiner Position kann ich mich aktiv zum Beispiel für mehr Kinder- und Frauenrechte und mehr Gerechtigkeit einsetzen.
Nada Göltzer: Ich habe auch nicht zu Beginn meiner Karriere entschieden, dass ich irgendwann eine Führungsposition innehaben möchte. Es war aber immer mein Bestreben, mich einzubringen. Ich habe Freude daran, wenn meine Sichtweisen und Haltungen sich in Entscheidungen wiederfinden.
Frau Deligöz, Sie haben sich als Jugendliche viel mit weiblichen Vorbildern auseinandergesetzt, Frauen wie Marie Curie und Hannah Arendt zum Beispiel. Wie wichtig sind Vorbilder?
Ekin Deligöz: Vorbilder sind für mich wichtig, denn sie motivieren mich. Meine Großmutter in der Türkei war eine der ersten Stadträtinnen in meiner Geburtsstadt. Ihr Weg hat mich beeindruckt, denn sie hat sich nicht dem traditionellen Frauenbild gebeugt, sondern sich engagiert und damit viel verändert. Starke Frauen können Inspiration für andere Frauen und Mädchen sein.
Frau Göltzer, gab es jemanden, an dem Sie sich orientiert haben?
Nada Göltzer: Ich hatte keine Vorbilder im klassischen Sinne, aber immer Menschen, zu denen ich aufgeschaut habe und die mir gezeigt haben, wie ich mich weiterentwickeln kann. Das war zum Beispiel ein ganz toller Lehrer, aber auch ein Trainer sowie meine Eltern. Menschen, die mir gezeigt haben, dass Offenheit und Respekt für alle Menschen, auch in Unternehmen, ganz wesentlich sind.
Hatten Sie dabei Menschen, die Sie aktiv beruflich gefördert haben? Mentorinnen und Mentoren?
Nada Göltzer: Ich hatte immer das Glück, Menschen an meiner Seite beziehungsweise als Chefs zu haben, die mich gefördert und unterstützt haben – und das waren neben einigen wenigen Frauen tatsächlich fast immer Männer. Bei der VBG habe ich diese Unterstützung als selbstverständlich in der Führung erleben dürfen. Ich wurde nie weitergedrängt, habe aber alle Möglichkeiten bekommen, neue Aufgaben und erweiterte Verantwortung zu übernehmen. Gleichzeitig haben mich meine Kolleginnen und Kollegen und auch meine Vorgesetzten mit schwierigen Situationen nie alleingelassen. Für diese Unterstützung bin ich sehr dankbar.
Frau Deligöz, Sie haben mal geschrieben: „,Weiße Männer unter sich, die sich selbst genug sind‘, könnte der Titel der Beschreibung der Führungsetagen in Deutschland lauten.“ Wenn man sich die Zahlen anschaut, kommt man nicht umhin, Ihnen zuzustimmen. 199 der 246 DAX-Vorstände sind männlich. Warum ist das immer noch so?
Ekin Deligöz: Die Ursachen lassen sich in kulturellen und strukturellen Rahmenbedingungen finden. Frauen wählen ihren Beruf immer noch häufig nach geschlechterspezifischen Rollenbildern. Und auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellt oft eine Hürde dar. Mit dem Führungspositionen-Gesetz, das für über 2.200 Unternehmen gilt, wird eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Spitzenpositionen festlegt. Wir sehen dabei deutlich, dass feste Quoten wirken. Zwar immer noch auf niedrigem Niveau, aber immerhin zeigt die Kurve nach oben.
„Dadurch, dass es zu wenige Frauen in Führungspositionen gibt, bleiben große Potenziale hochqualifizierter Personen ungenutzt.“
Warum ist es denn überhaupt so wichtig, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen?
Ekin Deligöz: Dadurch, dass es zu wenige Frauen in Führungspositionen gibt, bleiben die großen Potenziale hoch qualifizierter Personen ungenutzt. Außerdem wirken sich ein höherer Frauenanteil in Führungspositionen und die damit verbundenen höheren Gehälter positiv auf die Senkung des Gender Pay Gap aus. Frauen an der Spitze fördern Unternehmenskulturen, die familienfreundlicher, die innovativer in Arbeits- und Verantwortungsstrukturen sind, das beweisen zahlreiche Studien.
Und dennoch müssen Frauen größere Hürden überwinden, um in Verantwortungspositionen zu kommen. Kennen Sie das, Frau Göltzer?
Nada Göltzer: Ich habe es immer als etwas Selbstverständliches wahrgenommen, als Frau Verantwortung übernehmen zu dürfen. Was ich allerdings regelmäßig erlebe, ist eine Kommunikation, die nicht auf Augenhöhe stattfindet und die dann häufig, vielleicht auch unbewusst, von den von Ihnen zitierten „weißen Männern“ ausgeht. Gut gemeinte Ratschläge mit dem Tenor „Ich erklär dir das mal, Mädchen“ und das leichte Belächeln oder „Überhören“ von Argumenten habe ich leider schon häufig erlebt.
Wie lassen sich denn kulturelle Hürden überwinden? Also Stereotype über Frauen, die Karriere machen wollen?
Ekin Deligöz: Um Frauen einen besseren Zugang zu Führungspositionen zu verschaffen, ist ein Kulturwandel in Organisationen erforderlich. Dafür braucht es auch glaubhaftes Engagement der Führungsspitze. In jedem Fall muss eine Sensibilisierung für Geschlechtergerechtigkeit stattfinden, die eine Berufswahl fernab von überholten Rollenbildern stärkt. Mit der „Initiative Klischeefrei“ sowie mit dem Girls’ und Boys’Day setzt sich die Bundesregierung für eine Berufswahl frei von Geschlechterstereotypen ein. Wir brauchen Vorbilder bei Männern und Frauen, gerade für die junge Generation, um den Anteil von Frauen in Führungspositionen nachhaltig zu erhöhen.
Nada Göltzer: Das geht nur mit guten Beispielen. Ich bin sicher, dass je mehr weibliche Führungskräfte es gibt, als desto selbstverständlicher wird es auch angesehen. Und das wiederum wird dann auch dazu führen, dass Stereotype wie das der verbissenen Karrierefrau langsam abgelöst werden. Ich denke, wir sind da auf einem guten Weg. Auch weil sich zunehmend weniger Unternehmen solche kulturellen Hürden noch leisten können. Es lohnt sich aber immer zu hinterfragen, ob sich in einer Unternehmenskultur noch Stereotypen „verstecken“, die dringend überwunden werden müssen.
Wie lässt sich die Situation denn konkret verbessern? Welche politischen Hürden würden Sie, Frau Deligöz, gerne aus dem Weg räumen wollen?
Ekin Deligöz: Wir brauchen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, sowohl für Männer als auch für Frauen. Dabei helfen eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten und moderne Führungsmodelle, vor allem wenn sie von Männern und Frauen gleichermaßen in Anspruch genommen werden. Außerdem geht es um gleiche Bezahlung. Wenn eine ungleiche Bezahlung durch Monitorings öffentlich sichtbar wird, erhöht das den Handlungsdruck auf Arbeitgeber und fördert so die Chancengleichheit von Frauen und Männern.
In der Diskussion ist auch immer viel von einengenden Rollenbildern die Rede. Wie lassen sich diese Rollenbilder ändern?
Ekin Deligöz: Ein immer noch verankertes Rollenbild ist, dass für unbezahlte Tätigkeiten wie der Versorgung von Kindern sowie für Haushalt und Pflege nur Frauen zuständig oder besser geeignet seien. Der Koalitionsvertrag sieht daher vor, die gerechte Verteilung unbezahlter Sorgearbeit zu fördern. Wir brauchen eine Kultur, in der die Leistungen und Kompetenzen von Frauen und Männern gleichermaßen anerkannt sind. Das gelingt nur durch gemeinsame Anstrengungen von Politik, Gesellschaft und Arbeitgebenden.
„Mir ist es dabei aber auch wichtig, alle Geschlechter anzusprechen und ihnen Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie zum Beispiel familiären Pflichten als Eltern oder pflegende Angehörige nachkommen können.“
Was könnte ein Unternehmen, eine Firma ganz konkret tun, um es für Frauen leichter zu machen, nach einer Führungsposition zu streben, Frau Göltzer?
Nada Göltzer: Arbeitsbedingungen kann man gestalten. Es gibt organisatorische Möglichkeiten wie Teilzeit- und Gleitzeitregelungen sowie die Möglichkeit, von zu Hause mobil zu arbeiten. Mir ist es dabei aber auch wichtig, alle Geschlechter anzusprechen und ihnen die Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie zum Beispiel familiären Pflichten als Eltern oder pflegende Angehörige nachkommen können.
Wie sieht es ganz konkret bei der VBG aus?
Nada Göltzer: Wir engagieren uns seit Jahren systematisch bei diesen Themen. Wir haben 2009 das Audit Beruf und Familie erfolgreich durchlaufen. Im Juni wurden wir das fünfte Mal in Folge für unser familienbewusstes Personalmanagement ausgezeichnet. Auch das Thema Bezahlung ist – wie bereits von Frau Deligöz angesprochen – ein wichtiger Punkt. Hier darf es keine geschlechterspezifischen Unterschiede geben. Als öffentlicher Träger haben wir dabei allerdings mit einem Tarifvertrag und transparenten Stellenprofilen und -bewertungen einen klaren Vorteil.
Auch im Certo-Portal spricht der neue VBG-Hauptgeschäftsführer Kay Schumacher mit Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, über Teilhabe am Arbeitsleben.
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